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Ein pragmatisches Ja zur Rentenreform 2020

16. August 2017

Die Grünliberalen unterstützen die Rentenreform 2020, welche am 24. September zur Abstimmung gelangt. Im Wissen darum, dass durch diese Vorlage die grundlegenden Herausforderungen für unser Vorsorgesystems nicht abschliessend gelöst werden, handelt es sich dabei um ein pragmatisches Ja. Ein Scheitern und somit "Nichtstun" ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die schlechteste Lösung. Die Reform ist bei weitem nicht perfekt. Das trifft jedoch für die meisten Vorlagen zu, welche den Stimmberechtigten zur Abstimmung unterbreitet werden. Sie sind das Resultat ausgiebiger Debatten und Kompromisse im Bundesrat und im Parlament, welche nicht die reine Lehre, sondern die Mehrheitsfähigkeit einer Regelung im Auge haben. Ausserdem ist bei einer Ablehnung nicht zu erwarten, dass das Parlament in der heutigen Zusammensetzung in der Lage ist, in nützlicher Frist eine neue, bessere Vorlage zu verabschieden. Es ist deshalb ratsam, bei der Beurteilung der Rentenreform weniger die Details der Vorlage zu betrachten, sondern sich die grundlegenden Eigenschaften unseres Rentensystems vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung vor Augen zu führen. 

Zwei Punkte sind dabei zentral: Zum einen bilden die AHV und die zweite Säule ein Gesamtsystem, das wie in ganz Europa von der demografischen Entwicklung stark gefordert ist. So wird der Altersquotient – das Verhältnis zwischen den Pensionierten und der Erwerbsbevölkerung – bis im Jahr 2045 von heute etwa 1/4 bis fast auf 1/2 steigen. Während also heute eine durchschnittliche Rente von rund vier Arbeitstätigen finanziert wird, werden im Jahr 2045 noch rund zwei Arbeitstätige für eine Rente aufkommen müssen. Der Grund für diese Entwicklung liegt im Anstieg der Lebenserwartung und in einer tiefen Geburtenquote, die deutlich unter dem für eine konstante Bevölkerungsgrösse notwendigen Niveau liegt. Nur dank der Zuwanderung wird unsere Bevölkerung überhaupt noch geringfügig wachsen.

Der zweite Punkt betrifft das Verhältnis zwischen den Generationen. Es ist unredlich von den Gegnern der Reform, ständig die Generationen gegeneinander auszuspielen. Wir sind eine solidarische Gemeinschaft und es soll daher sichergestellt werden, dass jeder Mensch eine gute Ausbildung erhält, ein gerechtes Einkommen erzielt, in das soziale Leben integriert ist und ein würdevolles Leben führen kann. Und hier spielen die Renten eine zentrale Rolle: Die Wertschöpfung, welche die Erwerbstätigen erarbeiten, wird an die RentnerInnen als inaktive Einwohner umverteilt. Jede Rente muss zuerst erarbeitet werden und das gilt sowohl für die AHV (Umlageverfahren) als auch für die Pensionskassen (Kapitaldeckungsverfahren). Die Unterschiede zwischen AHV und Pensionskasse bestehen in der konkreten Ausgestaltung der Finanzierung und der Rentenansprüche: Die AHV ist auf die Umverteilung von hohen zu tiefen Einkommen ausgelegt. Sie soll im Alter ein Mindesteinkommen garantieren. In der Pensionskasse hingegen basiert der Rentenanspruch auf dem während der aktiven Zeit selbst erwirtschafteten Einkommen. Sie soll im Alter den bisherigen Lebensstandard sicherstellen.

Die oft diskutierte Mehrbelastung der jüngeren, aktiven Generationen ist nicht durch den Gegensatz zwischen AHV und Pensionskasse, sondern durch die demografische Entwicklung bedingt. Und in dieser Hinsicht zeichnen sich wie erwähnt grosse Herausforderungen ab, die nicht nur in der Altersvorsorge, sondern auch im Gesundheitswesen und in der Pflege zu hohen Mehrbelastungen führen. Soll langfristig eine höhere Belastung pro erwerbstätige Person vermieden werden, gibt es letztendlich drei Lösungen:

  1. ein höheres Rentenalter,
  2. tiefere Renten, oder
  3. ein stärkerer Anstieg der Erwerbsbevölkerung

Zugegeben, die Rentenreform 2020 nimmt keine dieser drei Punkte wirklich auf. Dies war aber auch nie das Ziel dieser Vorlage. Man darf nicht vergessen, dass in den letzten 20 Jahren in der Altersvorsorge mehrere Reformvorhaben gescheitert sind. Folgen davon sind unter anderem ein massives Ungleichgewicht in der Pensionskasse und eine drohende Finanzierungslücke bei der AHV. Um die beiden Sozialwerke wenigstens bis im Jahr 2030 zu stabilisieren, stehen deshalb in der Rentenreform 2020 wichtige und dringend notwendige Massnahmen im Vordergrund. Dazu gehören der tiefere Umwandlungssatz in der Pensionskasse, die Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau sowie die Flexibilisierung des Rentenalters. Das sind Massnahmen, welche wir Grünliberalen stets gefordert haben. Um die Reform nicht zu gefährden, stand von Anfang an die Sicherung der Renten im Vordergrund. Selbst Gegner der Vorlage betonten, dass für sie die Rentenhöhe nicht zur Diskussion steht. Alles andere wäre aus sozialer Sicht auch kaum verantwortbar. Und eine generelle Erhöhung des Rentenalters ist zurzeit schlichtweg nicht mehrheitsfähig.

Da nun weder die Renten reduziert, das AHV-Alter erhöht noch Massnahmen im Hinblick auf eine höhere Erwerbsbevölkerung diskutiert wurden, wird das grundsätzliche demografisch bedingte Problem nicht abschliessend gelöst. Somit könnte aus der Sicht der jüngeren Erwerbstätigen die Übungsanlage von Beginn weg als unbefriedigend betrachtet werden. Gleichwohl ist es – auch aus der Sicht der jüngeren Generationen – ratsam, der Reform zuzustimmen. Denn wie bereits erwähnt beinhaltet sie einige technisch wichtige und notwendige Verbesserungen. Ausserdem ist die Reform auf jeden Fall besser als der Status quo. Eine Ablehnung hingegen birgt die Gefahr kurzfristig höherer Kosten und wieder einer jahrelangen Reformblockade. Die höchsten Belastungen für zukünftige Generationen entstehen bei einem Verzicht auf eine Reform.

Nach der Abstimmung sind jedoch weitergehende Reformen unausweichlich. Es muss möglichst schnell eine Lösung für die Zeit nach 2030 gefunden werden. Es müssen Antworten auf die zentrale Frage diskutierte werden, welche Kombination der drei oben beschriebenen Möglichkeiten die vielschichtigen, durch die demografische Entwicklung bedingten Herausforderungen am besten lösen würde. Die grünliberale Politik zeigt bereits gute Ansätze, wohin die Reise gehen könnte: Durch eine weitere Flexibilisierung des Rentenalters, flexible Arbeitszeiten und für alle erschwingliche externe Kinderbetreuungsangebote soll dafür gesorgt werden, dass Familie, Arbeit und Freizeit gut miteinander vereinbar sind und dadurch möglichst viele Menschen möglichst lange am Arbeitsprozess teilnehmen können. Eine offene Haltung gegenüber der Migration und eine gute und schnelle Integration von Immigranten soll das Arbeitskräftepotenzial und somit die Wertschöpfung zusätzlich erhöhen. Der Freihandel und die soziale Marktwirtschaft sollen den Wohlstand sichern und so viele Menschen wie möglich daran teilhaben lassen. Und ein ausgebauter Klima- und Umweltschutz sowie der vollständige Übergang zu erneuerbaren Energien sollen sicherstellen, dass der Wohlstand nicht auf Kosten unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht. Zunächst gilt es jedoch, auch an der Urne ein Ja für die Rentenreform 2020 zu erreichen. Dies im Sinne eines pragmatischen Ja, bei dem die Sicherung der AHV und der Pensionskassen bis im Jahr 2030 im Vordergrund steht. Und ein Ja mit dem Ziel, dass es langfristig weitere Reformen braucht, um die Alterssicherung zu stabilisieren.