Von der Klimawahl zur Klima-Legislatur
Kein anderes Thema steht im Vorfeld der National- und Ständeratswahlen so stark im Mittelpunkt wie der Klimaschutz. Zu Recht, denn mit dem globalen und raschen Anstieg der Temperaturen ist unsere Gesellschaft und Wirtschaft in ihrer Existenz bedroht. Steigen die weltweiten Durchschnittstemperaturen weiter so rasch wie seit dem Beginn der Industrialisierung, so hat dies mit grosser Wahrscheinlichkeit immense Folgen auf die Ökosysteme und die Bewohnbarkeit weiter Teile der Erde. Es ist deshalb unabdingbar, dass die Verabschiedung von wirksamen Klimaschutzmassnahmen in der kommenden Legislatur höchste Priorität geniessen muss. Insbesondere muss verhindert werden, dass griffige und wirksame Massnahmen nach den Wahlen abgelehnt oder auf die lange Bank geschoben werden, wie dies kürzlich im Luzerner Kantonsrat durch die Mehrheit von CVP, FDP und SVP geschehen ist. Der Luzerner Regierungsrat lässt jetzt zuerst einmal einen Bericht schreiben. Derweil läuft uns die Zeit davon.
Die von uns Menschen verursachte Klimaerwärmung ist wissenschaftlich tausendfach belegt. Es gibt wohl kaum eine wissenschaftliche Erkenntnis, welche auf ähnlich gesicherten Grundlagen beruht. Das im Vergleich zu früheren, vorindustriellen Klimaveränderungen ausserordentlich hohe Tempo des Temperaturanstiegs erfordert rasches und konsequentes Handeln. Der Spezialbericht des Weltklimarats zeigt, dass wir die Treibhausgasemissionen bis spätestens Mitte dieses Jahrhunderts auf Netto-Null senken müssen, um einen Temperaturanstieg von über 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu verhindern. Dies erfordert weltweites, entschlossenes und rasches Handeln. Technologien und politische Instrumente sind seit langem bekannt. So schlug z.B. der im letzten Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom William D. Nordhaus bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine CO2-Steuer als effizientes Instrument zur Reduktion des globalen Temperaturanstiegs vor. Dadurch werden Anreize geschaffen, alternative Technologien nachzufragen und in deren Weiterentwicklung zu investieren.
Die Schweiz steht in einer besonderen Verantwortung. Zwar ist der Anteil der Schweiz an den weltweiten Treibhausgasemissionen relativ klein. Da wir jedoch über ein hohes Durchschnittseinkommen verfügen und viele Güter importieren, sind die von uns verursachten Pro-Kopf-Emissionen im Vergleich zu anderen industrialisierten Staaten relativ hoch. Zudem besteht über unseren hoch entwickelten Finanzplatz eine nicht zu unterschätzende Hebelwirkung bei den Investitionen. Des Weiteren ist gerade die Schweiz mit ihren anerkannten Forschungs- und Bildungsinstitutionen besonders gut in der Lage, durch Forschung und Innovation im Bereich des Klimaschutzes und der erneuerbaren Energien einen wesentlichen Beitrag zum weltweiten Erreichen des Netto-Null-Emissionszieles zu leisten. Dazu gehört auch eine Ausdehnung und Fokussierung der Entwicklungszusammenarbeit. Insofern ist der Klimaschutz auch eine grosse Chance für unseren Forschungs- und Wirtschaftsstandort.
Die Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Anpassung der Gesellschaft und der Wirtschaft an die Klimaveränderungen dulden keine Kompromisse. Das stellt insbesondere unsere konsensorientierte Demokratie vor besonders grosse Herausforderungen. Während bei den meisten Sachthemen der breit abgestützte Interessenausgleich zwar nicht der optimalste, aber häufig ein gangbarer Weg darstellt, ist bei Klimaschutzmassnahmen ein Abweichen von den wirksamsten Massnahmen zu Gunsten von Sonderinteressen mit einem nicht tragbaren Risiko für die Umwelt und den Fortbestand unserer Gesellschaft verbunden. Das Klima kennt weder die «Mehrheitsfähigkeit» noch den «Kompromiss». Das sollten endlich auch die stets bremsenden Interessengruppen wie z.B. die Wirtschaftsverbände einsehen und akzeptieren. Die Erde wird einen deutlich über 1,5 Grad liegenden raschen Temperaturanstieg verkraften. Ob auch die heutigen Ökosysteme, wir Menschen und unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung dazu in der Lage sind ist jedoch fraglich. Abstriche bei der Wirksamkeit von Klimaschutzmassnahmen sollten deshalb unbedingt vermieden werden. Wir schulden dies unseren Mitmenschen und insbesondere den zukünftigen Generationen, denen wir einen lebenswerten Planeten hinterlassen wollen.