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Auf der falschen Seite der Geschichte

03. Juni 2024

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Sicherheitslage in Europa stark verschlechtert. Die Bedrohung der europäischen Staaten mit hybriden und konventionellen Mitteln hat stark zugenommen. Zahlreiche Staaten sind zudem mit massiven Cyberangriffen Russlands konfrontiert, allem voran das Baltikum. Die NATO-Staaten erhöhen deshalb ihre Verteidigungsfähigkeiten im Schnellzugstempo und unterstützen die Ukraine mit Waffen.

Auch für die Schweiz als kleiner Staat mitten in Europa ist es ein Gebot der Stunde, die Fähigkeitslücken ihrer Armee rasch zu schliessen. Im Einklang mit den NATO-Staaten müssen die Investitionen in die Verteidigung stark erhöht werden. Ansonsten fällt die Schweiz noch mehr in die Rolle einer Trittbrettfahrerin zurück, die vom Schutzschild der NATO profitiert, ohne selbst genügend in ihre eigene Sicherheit zu investieren. Kein europäischer Staat ist heute in der Lage, sich allein gegen eine Grossmacht zu verteidigen. Umso wichtiger ist es, dass die Schweiz nicht zu einer Sicherheitslücke in Europa wird. Zudem steht die Schweiz als einer der wohlhabendsten und wirtschaftsstärksten Staaten Europas in der solidarischen Pflicht, einen substanziellen Beitrag an die Aufrechterhaltung der zivilen Infrastruktur und den Wiederaufbau der Ukraine zu leisten, zumal sie als neutraler Staat keine Waffen liefert.

Doch wer hofft, dass die Schweiz diese Verantwortung wahrnimmt, wurde bisher bitter enttäuscht. Ein im Ständerat traktandierter Vorstoss seiner Sicherheitspolitischen Kommission, nach welchem für den raschen Ausbau der Armee und die Unterstützung der Ukraine ein ausserordentlich finanzierter Fonds in der Höhe von 15 Milliarden errichtet werden soll, wurde deutlich abgelehnt. Eine Mehrheit des Ständerats ist der Ansicht, dass der Aufbau der Armee und die Unterstützung der Ukraine innerhalb des ordentlichen Budgets Platz haben muss. Dadurch werden diese beiden dringlichen Vorhaben massiv verzögert. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 1 Prozent des BIP würde im ordentlichen Budget Ausgabenkürzungen in anderen Aufgabenbereichen oder Mehreinnahmen in der Höhe von rund 0.3% des BIP bedeuten. Das wären im laufenden Jahr über 2,5 Milliarden Franken. Ausgabenkürzungen in dieser Höhe lassen sich nicht allein im Budget beschliessen, unter anderem weil ein Grossteil der Bundesausgaben gesetzlich gebunden ist. Es sind deshalb Gesetzesanpassungen notwendig, was mehrere Jahre dauert. Steuererhöhungen bedürfen zudem einer Verfassungsänderung, womit sie ebenfalls nur mittelfristig umsetzbar sind.

Mit der Ablehnung des Vorstosses hat es die Schweiz verpasst, durch einen raschen Ausbau ihrer Verteidigungsfähigkeit und die stärkere Unterstützung des Wiederaufbaus in der Ukraine ein starkes und wichtiges Zeichen der internationalen Solidarität auszusenden. Stattdessen sollen die Verteidigungsausgaben im Schneckentempo und auf Kosten der Entwicklungszusammenarbeit erhöht werden. Eine hyperrestriktive Auslegung der Schuldenbremse wird von einer Mehrheit des Ständerats offenbar stärker gewichtet als die Sicherheit und Solidarität der Schweiz. Damit läuft die Schweiz Gefahr, sich dereinst auf der falschen Seite der Geschichte wiederzufinden. Denn die europäische Staatengemeinschaft wird es kaum verstehen, dass ausgerechnet die reiche Schweiz sich in kleinkrämerischer Art und Weise von ihrer Verantwortung drückt.